Forum "Schmetterlinge und Raupen bestimmen":
Lösung zum Bilderrätsel 4

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Bild 1: Der ganze Falter, von dem der linke Hinterflügel für das Rätsel genommen wurde. Ein Weibchen von Saturnia pavoniella aus Kroatien, Istrien, Umgebung Pula, Zuchtfalter aus den 1970er Jahren.

Bild 2: Die Unterschiede der Weibchen von Saturnia pavonia und S. pavoniella.


Bild 3: Die Unterschiede der Männchen von Saturnia pavonia und S. pavoniella.

Bild 4: Die Unterschiede von Saturnia pavonia und S. pavoniella im männlichen Genitalapparat. Der ventrale Valvenrand von S. pavoniella trägt einen lappenartigen Fortsatz, bei S. pavonia ist außer diesem distal (am distalen Ende des Sacculus) ein zweiter deutlicher dornartiger Fortsatz vorhanden, bei ersterer hingegen maximal ein winziges Zähnchen.

   


Saturnia pavonia und Saturnia pavoniella (Lepidoptera: Saturniidae)

von Wolfgang A. Nässig

In Europa existieren nach heutiger Kenntnis mindestens zwei unterschiedliche Arten des „Kleinen Nachtpfauenauges“: Saturnia (Eudia) pavonia (LINNAEUS, 1758) im Norden und Saturnia (Eudia) pavoniella (SCOPOLI, 1763) im Süden, mit noch ungeklärten Verhältnissen in Südfrankreich sowie auf der Iberischen und der Balkanhalbinsel. (Für weitere Informationen, Details zu den Unterschieden und Literaturhinweise siehe unter der URL
http://www.saturnia.de/forum/pavonia-pavoniella-2005.pdf, Filegröße etwa 610 KB.)

In der Literatur wurde die südliche Art pavoniella oft als ligurica oder meridionalis bezeichnet; diese Namen sind aber beide deutlich jünger, pavoniella hat eindeutig Priorität. Es handelt sich also nicht, wie im Forumsbeitrag von Andreas Löhr, „Re: Saturnia pavonia oder pavoniella? *Bild*“, vom 12. März 2005 um 19:16 Uhr, angemerkt, um eine „geographische Variante“, sondern um getrennte Arten! (Übrigens: Auf den beiden Bildern kann man leider nicht zweifelsfrei erkennen, um welche Art es sich handelt ... wo stammt das abgebildete Männchen her?)

Diese zwei Arten definieren sich in erster Linie durch die Infertilität der weiblichen und der meisten männlichen F1-Hybriden sowie morphologische Merkmale (einschließlich Genitalmorphologie). Die zwei Arten überlappen lokal, und vereinzelt kann trotz weitgehender genetischer Isolation immer noch etwas Introgression auftreten.

Die wesentlichen differentialdiagnostischen Merkmale von S. pavoniella und S. pavonia wurden bei Jost et al. (2000) und Huemer & Nässig (2003) dargestellt. Hier eine Zusammenfassung für die Auflösung des Rätsels:

Das als Rätsel vorgelegte Foto stellt einen Ausschnitt aus dem Bild (siehe Bild 1) eines Weibchens von Saturnia pavoniella aus Istrien dar. Man erkennt die notwendigen diagnostischen Merkmale zur Identifikation ohne Probleme:

1) Der Hinterleib ist relativ eintönig graubraun gefärbt; damit fallen sowohl Saturnia spini wie auch Saturnia pavonia heraus, die beide einen deutlich schwarz-weiß beziehungsweise grau-weiß geringelten Hinterleib haben.

2) Die Submarginal- und Postmarginalbinden des Hinterflügels nähern sich zwischen Augenfleck und Innenrand (= Analrand) deutlich an, wobei die Postmarginalbinde dann deutlich zum Analwinkel des Innenrands hin wegbiegt. Auch dies ist ein typisches Merkmal für S. pavoniella und schließt S. pavonia aus (siehe Bild 2).

Für die Männchen stimmt das zweite Merkmal (Bindenverlauf) genauso wie für Weibchen (siehe Bild 3), nur das erste Merkmal (Färbung des Hinterleibs) trifft nicht zu. Dafür sind deutliche Unterschiede im männlichen Genitalapparat zu finden (Bild 4). Die Genitalunterschiede im weiblichen Genitalapparat sind nicht sehr deutlich.

Die Unterschiede im Genitalapparat der Männchen sind so auffällig, daß es nur die generelle Bequemlichkeit der jeweiligen Bearbeiter, die keine Lust hatten, bei beiden Populationen Genitalpräparate zu kochen (bedauerliches Motto: „So etwas macht man doch nicht bei so großen und häufigen Arten!“), erklären kann, warum diese Erkenntnis bisher in den meisten Bestimmungsbüchern vollkommen ignoriert wurde. Deswegen schauen die meisten Entomologen auch im Freiland nicht wirklich hin, „weil man bei so häufigen und überall vorkommenden Arten doch eh nichts Neues mehr finden kann“ ... eine sich selbst in den Schwanz beißende Problemfalle!

Nur wenige untersuchte Falter von S. pavonia aus der Nordschweiz und die Mehrzahl der Falter aus Südfrankreich und Nordostspanien waren mit diesen Merkmalen nicht eindeutig zuzuordnen; auch bei einigen „intermediären“ Stücken (= Hybriden?) versagen sie manchmal.

Auch die Präimaginalstadien lassen sich zumindest bei ganzen Jungraupengruppen in der Regel gut unterschieden, nur bei Einzeltieren kann es Probleme geben (siehe den oben angegebenen Link zum .pdf-File!). Das Raupenbild in dem Forumsbeitrag „Saturnia pavoniella *Bild* Geschrieben von: Walter Schön“ vom 11. März 2005 um 18:35 Uhr zeigt (wie es in Kroatien auch nicht anders zu erwarten ist!) eine eindeutige Raupe von Saturnia pavoniella.

Um die weiterhin vorhandenen Probleme untersuchen und klären zu können, haben wir eine DNA-Untersuchung geplant, für die wir um Mitarbeit in Form von Materialanlieferung bitten. Siehe dazu unseren Aufruf zur Mitarbeit:

Liebe Freunde und Kollegen,

das taxonomische und biogeographische Problem der Gruppe von Saturnia pavonia und S. pavoniella braucht unbedingt wissenschaftliche Hilfe. Wir, das sind Wolfgang A. NÄSSIG vom Senckenberg-Museum in Frankfurt und Thomas SCHMITT von der Biogeographie der Universität Trier, wollen diesen Spinnern helfen, sich selbst besser zu verstehen.

Spaß beiseite, die Taxonomie und Biogeographie von Saturnia pavonia und S. pavoniella ist ... [weiterlesen]

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