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Hallo Jürgen,
ich verstehe von Genetik so gut wie gar nichts, hatte im Studiuim die Vorlesung irgendwann geschwänzt, weil alles, was nach Mendel kam, mich zusehends überforderte. Aber vielleicht ist das gerade ein guter Grund, Dir zu antworten.
Ich arbeite seit Jahren im Barcoding bei den Hesperiidae mit (anfangs bei BOLD), habe tausende von Ergebnissen gesehen und kenne die Arbeiten von Kollegen. Vor allem aber habe ich einen guten Kollegen (Nick Grishin), der Fachmann auf dem Gebiet ist und mir einiges erklärt hat. Zentrale Frage von mir: Wenn ich einen Unterschied von xy % habe, was bedeutet das? Antwort: Es gibt einen Unterschied von xy %. Mehr weiß ich damit nicht.
Simpel oder dämlich formuliert, aber voller Weisheit. Ein Unterschied im Barcode sagt gar nichts, es ist nur ein Hinweis, aber ein durchaus sehr wichtiger Hinweis.
Ich habe bislang in nur einem Fall (bei vielleicht tausend beprobten Arten) bei zwei Arten der gleichen Gattung, deren unterschiedlicher Artstatus für mich nicht infrage steht (aber das ist "meinen", nicht "wissen"), einen identischen Barcode gehabt. Burns hat anhand von der Biologie und weiterer Daten glaubhaft eine Aufspaltung von Arten vorgenommen, bei denen der Unterschied bei nur einem Basenpaar beruhte. Umgekehrt habe ich eine Art beprobt, bei der eine Aufspaltung in zwei in sich einheitliche Gruppen existiert mit mehr als konstant 3% Differenz. Hier hat mir Nick erklärt, dass sowas nicht ungewöhnlich ist. Irgendwann gab es eine Hybridisierung, sagen wir mal in Panama, mit einer nahe verwandten Art, die aber inzwischen ausgestorben ist. Davon ist ein Genblock konstant weiterhin vorhanden und wird weitervererbt, die Population in z.B. Ecuador hat diesen Block aber nicht. Desshalb kann es trotzdem nur eine Art sein. Unterschiedliche Barcodes verbunden mit unterschiedlichem Genital sind ein deutlicher, schon ziemlich sicherer Hinweis auf verschiedenen Arten, oder andere Faktoren, die auffällig sind. Aber nur die Kombination dieser Hinweise erlaubt eine mehr oder weniger sichere Entscheidung. Dazu kommt, dass es Arten gibt, die in Aufspaltung sind (die Evolution ist ja nicht fertig, sondern rast bei manchen Arten ja geradezu und manches passt eben in keine taxonomische Schublade). Da finden sich bei solchen Arten etliche Gruppen mit lokal unterschiedlichem Barcode. Dazu gehört z.B. Pyrgus alveus oder eben Spialia orbifer in Sibirien, dass ist entweder eine Artengruppe oder eben noch nicht soweit aufgespalten. Sicher entscheiden kann man das wohl nur, wenn man züchtet und kreuzt bzw. vielleicht gibt die Biologie allein schon Hinweise. Aus Spanien wurde Spialia rosae beschrieben, morphologisch besteht kein Unterschied zu S. sertorius, im Genital kein Unterschied, aber konstante Unterschiede im Barcode und eine völlig andere Lebensweise und ein anderes Verbreitungsgebiet, aber mit Überschneidungen. Diese Artaufspaltung ist für mich nachvollziehbar, aber auch hier hat der unterschiedliche Barcode in einem gemeinsamen Verbreitungsgebiet lediglich den Hinweis gegeben, genauer hinzuschauen. Barcoding ist ein fantastisches Werkzeug, aber allein betrachtet keine Entscheidung zur Artaufspaltung. Hinzzu kommt, dass das Barcoding nicht bei allen Gruppen gute Ergebnisse liefert. Bei den Hesperiidae ist es in den meisten Gruppen ein fantastisches Werkzeug, welches viele bislang ungelöste Fragen beantworten wird. Aber dabei werden mit Sicherheit auch viele neue Fragen aufgeworfen werden, die anders beantwortet werden müssen.
Grüße
Ernst