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Hallo Jürgen,
ich bin zwar kein Genetiker, aber mit dem Barcode habe ich ein wenig Erfahrung.
In Deinem Text sind ein paar begriffliche Ungenauigkeiten, und ich versuche mal, das zu kommentieren. Bitte nicht als „Bibel“ nehmen, ich bin nun mal kein „Molekularer“!
Das habe ich mich auch schon gefragt. Schön wäre es, wenn jemand, der sich mit Barcoding auskennt, sagen kann, ob eine annähernde Gleichheit des Barcodes zweier Tiere ein zwingendes Kriterium für die Artgleichheit ist. In den vielen Publikationen zum Thema nahm ich immer nur die umgekehrte Argumentation zur Kenntnis: Wenn der Barcode weit genug auseinanderliegt, ist das ein gutes Kriterium für Artverschiedenheit. Wobei „weit genug“ in manchen höheren Taxa nur ca. 1,5 % sein kann, in anderen deutlich mehr. Außerdem ist Barcode, soweit ich mich erinnere, nicht umbedingt gleich Barcode: Es macht vielleicht einen Unterschied, ob man mitochondriale DNA untersucht oder andere Bereiche. Schön wäre es auch, wenn einer von unseren Genetikern im Lepiforum mal allgemeinverständlich zusammenfasst, wo da Hasen im Pfeffer liegen.
1) Der Begriff „Barcode“ bezieht sich per definitionem nur auf das DNA-Segment für das Enzym CO, Teilabschnitt 1 (= COI), innerhalb des mitochondrialen Gengutes (man beschränkt sich hier auf das mitochondriale Erbgut, weil davon in jeder einzelnen Körperzelle nicht nur die doppelten Kopien im Kern zur Verfügung stehen, sondern eben Hunderte Kopien in den Hunderten von Mitochondrien); das sind aber insgesamt nur 658 Basenpaare (bei Schmetterlingen). Mit so einem geringen (kurzen) Sequenzausschnitt kann man auch nur sehr „zurückhaltende“ Aussagen treffen! Sobald andere, zusätzliche Gene mituntersucht werden, ist das kein Barcode mehr (dafür nimmt rein statistisch mit jedem zusätzlich untersuchten Genabschnitt natürlich die Aussagekraft der Sequenzdaten zu)! Barcode ist nur COI!
2) Annähernde oder gänzliche Gleichheit von „läppischen“ 658 Basenpaaren alleine ergibt noch keine ausreichende Aussage darüber, ob das eine oder mehrere Arten sind. Der Barcode sind eben nur wenige Basenpaare eines einzigen kleinen Teilabschnitts eines einzigen mitochondrialen Gens! Ich kämpfe gerade mit so Problemen, wo wir in einer Gruppe viele Populationen mit sehr ähnlichen Barcodes haben, aber die Populationen untereinander unfruchtbar sind, morphologisch teilweise recht gut auftrennbar und damit trotz mangelnden Barcodeunterschieds eben doch Arten sein müßten. — Man sollte sich also eh nie nur anhand eines einzigen Merkmals entscheiden ...
3) Auf der anderen Seite sind Unterschiede von etwa einem Prozent und mehr in vielen Fällen aber schon ein deutlicher Hinweis dafür, daß man da genauer hinschauen muß; denn oftmals finden sich dann auch schnell (wenn auch oft nur geringe, aber in der Serie konstante) morphologische Unterschiede, die dann alle zusammen eben doch Artkriterien ergeben können.
Für mich persönlich ist eine vorhandene Hybridinfertilität immer ein recht entscheidendes Kriterium, denn theoretisch („biologisches Artkonzept“) sollten ja alle Populationen einer Art untereinander fertil sein. Jedenfalls ist das für mich wichtiger als ein nichtvorhandener Unterschied im Barcode.
Aber: Da gibt es natürlich noch mehr Falltüren — etwa diese lästigen Wolbachia-Bakterien, die als endosymbiotisch lebende Parasiten oder Symbionten einerseits die Sexualität der befallenen Insektenarten verändern (Parthenogenese, Kreuzungsinfertilitäten zwischen unbefallenen und befallenen Wirten oder auch zwischen Wirten, die mit verschiedenen Stämmen von Wolbachia befallen sind, et cetera), oder andererseits auch direkt oder indirekt damit zur längerfristigen Errichtung von jedweder Art von Artschranken führen und damit zur Artbildung beitragen.
Ist leider alles nicht so einfach ... und ich habe mich nur oberflächlich autodidaktisch etwas eingearbeitet.
Wolfgang